Frage: Die Zahl der NGOs hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges drastisch erhöht, 2004 waren in Afghanistan 2325 registriert. Haben da einzelne Organisationen überhaupt einen Einfluss?
Polman: In Ruanda beschloss eine Handvoll Organisationen, das Land zu verlassen. Sie wussten, dass ihr Geld die Mörder füttert, wie sie sagten. Dafür wollten sie nicht verantwortlich sein. Allerdings wurde die Versorgungslücke sofort von einer konkurrierenden NGO gefüllt. Es wäre wichtig, dass sie sich absprechen und gemeinsam ein Lager verlassen. Dann hätten sie eine gute Ausgangslage für Verhandlungen.
Frage: Warum gibt es überhaupt so viele NGOs? Wer in Krisen- und Kriegsgebiete reist, lebt gefährlich. Zudem, sagen Sie, können die Hilfsarbeiter nur wenig ausrichten.
Polman: Für weiße Mitarbeiter ist der Job nicht unbedingt gefährlich, weil sie ihre Büros häufig nicht verlassen. Entführt, verletzt oder getötet werden meist die lokalen Mitarbeiter auf dem Feld. Und grundsätzlich ist es ein interessanter Job. Man reist viel, die Gehälter sind recht hoch. Viele beginnen ihre Arbeit auch mit großem Enthusiasmus. Innerhalb kurzer Zeit aber merken sie, dass sie nur kleine Bauern auf einem gigantischen Schachbrett sind. Also kündigen sie oder versuchen, innerhalb der Hilfswelt Karriere zu machen. Das habe ich häufig beobachtet.
Frage: In Ihrem Buch beschreiben Sie die humanitäre Hilfe als Industrie. Die Karawane reise immer dorthin, wo gerade die meisten Spenden fließen, die NGOs konkurrieren untereinander, auch, weil die eigenen Jobs davon abhängen. Wie viel Geld ist insgesamt im Spiel?
Polman: Das lässt sich kaum sagen. Sicher ist nur, dass sich die Entwicklungshilfe der Geberländer, die innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ( OECD) registriert sind, auf rund 120 Milliarden Dollar pro Jahr summiert. Über die restlichen, privaten Spenden von Organisationen, Vereinen, Initiativen und Kirchen wissen wir sehr wenig. Vermutlich sind es weitere Milliarden. Aber es gibt keine zentrale Institution, die kontrolliert, wie viel Geld weltweit verteilt wird.
Frage: Wer könnte diese Kontrollfunktion übernehmen?
Polman: Ich bin Idealistin und glaube, dass die Uno diese Aufgabe übernehmen sollte. Wir haben sie doch dafür geschaffen, die Interessen aller Menschen wahrzunehmen! Aber die Mitgliedsstaaten machen die Uno absolut machtlos in dieser Frage. Es ist nicht gewünscht, dass die Uno die Kontrolle übernimmt.
Frage: Warum nicht?
Polman: Die Geberländer wollen souverän entscheiden. Sehen Sie sich Haiti an: Nach dem Erdbeben sagten alle, ja, wir haben dieses Problem, Gelder werden missbraucht. Sie entschieden, eine Kommission unter Führung von Bill Clinton und Haitis Premierminister Jean-Max Bellerive zu gründen, die bestimmt, was finanziert wird und in welcher Höhe. Alle applaudierten, alle sagten, das sei eine gute Idee.
Frage: Aber die Praxis sieht anders aus.
Polman: Weil jedes Geberland seine eigenen politischen und militärischen Ziele hat, arbeiten sie nun doch nicht mit der Kommission zusammen. Und die Interessen werden eben auch mit den Spenden verfolgt. In Afghanistan zum Beispiel sind mehr als 70 Geberländer tätig.
Frage: Sollen sich die Spenden auch wirtschaftlich auszahlen?
Polman: Den Amerikanern geht es darum. Wenn die USA entscheiden, Geld zu geben, muss es in den meisten Fällen an eine US-Organisation gehen, die Amerikaner beschäftigt, die mit amerikanischen Partnern arbeitet, die amerikanische Autos fahren und so weiter. Letztlich ist es eine Investition in die eigene Wirtschaft. In Europa sieht das anders aus, aber natürlich unterstützt die deutsche Regierung auch hauptsächlich deutsche Hilfsorganisationen.
Frage: Hinzu kommt die Korruption. Wenn eine Schule oder eine Straße gebaut werden soll, beauftragen NGOs Ihnen zufolge bis zu sieben lokale Sub-Organisationen. Ergebnis: Alle Beteiligten behalten ihren Teil ein, für das Projekt bleibt kaum noch Geld übrig.
Polman: Man muss dazu wissen, dass es nur wenige westliche Hilfsarbeiter gibt, die etwa ein Flüchtlingslager selber aufbauen. Sie schließen stattdessen Verträge über diese Arbeit mit lokalen Kräften ab, die wiederum andere beschäftigen. Die Gefahr, dass das Geld also in falschen Händen landet, ist groß.
Frage: Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen vergibt ein Spenden-Siegel an Organisationen, die vorbildlich und transparent arbeiten. Kontrollieren, was mit dem Geld vor Ort passiert, kann es aber auch nicht.
Polman: Solche Institute überprüfen die Bücher der Organisationen im Inland. Wenn Spenden von einem deutschen Verein zum nächsten transferiert werden, lässt sich das nachvollziehen. Sobald es aber zum Beispiel in Afghanistan landet, kann man den Geldfluss nicht mehr kontrollieren.
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